Der Bund, das Parlament und die Stühle

Seit dem Bau des Parlamentsgebäudes erhitzt die Sitzordnung die Gemüter. Während die einen in der Architektur die Gefahr sehen, zu stark an den alten Gepflogenheiten festzuhalten, schätzen andere die Anordnung der Stühle als Repräsentation des „nationalen Körpers“.

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2004 schlug die damalige Ständerätin Simonetta Sommaruga vor, die Links-Rechts-Blockade im Nationalrat zu durchbrechen: Die Räte sollten neu nach Kantonen geordnet sitzen. Damit ist klar: Die Sitzordnung des Parlaments ist ein Politikum. Aber nicht nur im parteipolitischen Sinne - sie ist auch eine symbolische Ordnung, die das politische System der Schweiz repräsentiert.

Mit der Französischen Revolution setzte sich die Vorstellung durch, dass das Parlament die Nation verkörpert, wobei die Frage, wer die politische Macht repräsentiert, ihren Ausdruck auch im Nationalratssaal findet. Um dem Ort höchster politischer Macht in der Schweiz eine Form zu geben, griffen seine Architekten - wie zuvor in Frankreich - auf das Modell des antiken Amphitheaters zurück und symbolisierten mit dem Halbkreis die nach 1848 propagierte politische Einheit.

Der Nationalrat: Kopf und Rumpf der modernen Schweiz

Nationalratssaal von 1920
Nationalratssaal von 1920

Der Nationalratsaal befindet sich auf der Südseite des Parlamentsgebäudes von 1902 im ersten Stock. Vorne im Zentrum, erhöht auf einem Podium - nach dem Historiker Philip Manow dem „Kopf" - ist das Ratspräsidium, die Sitze der Räte gruppieren sich im Halbkreis darum herum, was dem „Rumpf" entsprechen würde.

Innerhalb dieses Rahmens ist die Sitzverteilung jedoch nicht fest. Am Anfang war die Sprache massgebend - die Westschweizer und Tessiner Ratsmitglieder sassen links vom Präsidenten. In den 1960er-Jahren beantragte Nationalrat Leo Schürmann, die Sitze neu nach Fraktionen zu gruppieren - aus staatspolitischen Gründen: „Es wäre richtiger", wenn zwischen Deutschschweizern und Romands „ein engerer Kontakt möglich wäre".

Am 4. Oktober 1974 wurde die Sitzordnung im Geschäftsreglement festgeschrieben: Die Plätze wurden den Mitgliedern nach Fraktionszugehörigkeit und Sprache und, „wenn möglich, nach den persönlichen Wünschen zugeteilt" (Art. 6). Trotzdem gab es immer wieder Diskussionen: 1988 wollten einzelne Nationalräte im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 1991 ein Zeichen setzen. Sie beantragten, das Kriterium Sprache nicht mehr zu berücksichtigen, um so „den Röstigraben im Ratssaal" aufzuheben. Aber erst 1995 war es soweit: Das Büro beschloss, die Sitze nur noch nach Fraktionen zu verteilen. "Damit werden die Sprachgrenzen aufgehoben und Deutsch und Welsch sich im Nationalratssaal näherkommen", befand die Presse.

Der Ständerat: Im Schatten der Alten Eidgenossenschaft

Ständeratssaal von 1920
Ständeratssaal von 1920

Der Saal des Ständerats befindet sich ebenfalls im ersten Stock, jedoch an der Nordseite des Parlamentsgebäudes. Die Pulte der Ständeräte gruppieren sich um den ovalen Ratstisch in der Saalmitte.

Die Bestuhlung und Beleuchtung im Ständerat gab am Anfang viel zu reden. Der Bundesrat befasste sich während des Baus mindestens sieben Mal damit und gab sogar ein externes Gutachten in Auftrag. Anlass war, dass sich 17 Ständeräte nach der ersten Besichtigung über die Düsterkeit, den ungünstigen Lichteinfall und die starre Sitzordnung beschwert hatten. Offensichtlich fühlten sie sich zu stark an die massiv gebauten, abgedunkelten Ratssäle der Alten Eidgenossenschaft erinnert. Der Bundesrat befand dem gegenüber: „Der Ständeratssaal besitzt in seiner eichenen Ausstattung einen so bedeutenden architektonischen Vorteil über den Nationalratssaal mit seiner hellen Gipsverzierung", dass dieser Vorzug nicht aufgegeben werden soll.

In der Frage der Sitze wollte der Bundesrat den Ständeräten aber entgegen kommen und zwar so, „dass nur je zwei Sitze mit einander verbunden sind". Er begründete dies mit einem Exkurs in die Philosophie der Architektur, der an die Argumente Manows erinnert: „Die Anordnung der Sitze [im Ständerat] entspricht mehr einem Ratssaal, während die amphitheatralische mehr dem Hörsaal zukommt, wo der Redner im Centrum steht." Auch in Kommissionszimmern herrsche „dieselbe Anordnung der Placierung, ohne dass diese als ungehörig empfunden wird". Repräsentiert die Sitzordnung im Nationalrat den „nationalen Körper", so symbolisiert der Ständeratssaal die föderalistisch-ständische Schweiz.

Die Ständeräte mussten sich vorerst geschlagen geben und konnten sich erst später gegen den Bundesrat durchsetzen. Heute sieht der Ständeratssaal deshalb anders aus. Aber das ist eine andere Geschichte.

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