Das Erdbeben von Agadir vom 29. Februar 1960 und die „Cité Suisse“

„Dans la nuit du 29 février au 1er mars 1960, un violent tremblement de terre a ravagé Agadir, au Maroc, et a pratiquement détruit cette ville de 50'000 habitants. D’après un premier bilan, il y aurait de 5'000 à 6'000 victimes, dont un millier de morts, et 35'000 à 40'000 personnes sont sans abri. Toute la ville a été évacuée.“

Mit diesen Zeilen beginnt die kurze Mitteilung des Politischen Departements vom 2. März 1960 an den Schweizer Bundesrat über das verheerende Erdbeben, das zwei Tage zuvor die Hafenstadt Agadir im südlichen Teil Marokkos zerstört hatte.

Zwei Erdstösse und die darauf folgende Flutwelle überraschten die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt im Schlaf. Die Katastrophe forderte zwischen 12'000 und 20'000 Todesopfer – die Zahlen blieben ungenau, da nur europäische Einwohnerinnen und Einwohner in der heutigen Touristenstadt registriert waren.

Zum Zeitpunkt der Katastrophe war das Verhältnis von Marokko, bis 1956 französisches Protektorat, mit Frankreich getrübt. Die französischen Atombombenversuche von Mitte Februar 1960 in der Sahara – nur 500 Kilometer von der marokkanischen Grenze entfernt – führten zu zwischenstaatlichen Spannungen. Dennoch leistete die in der Nähe stationierte französische Marine Soforthilfe.

Auch die Schweiz leistete umfangreiche Hilfe: Zunächst sprach der Schweizer Bundesrat am 4. März 1960 zu Handen des Roten Kreuzes 50'000 Franken für die Nothilfe an die Erdbebenopfer. Wenige Wochen nach der Katastrophe lancierte der Schweizer Konsul in Casablanca, Joseph Birchler, sodann den Plan für einen neuen Stadtteil, der durch schweizerische Spendengelder finanziert werden sollte. Das „Arbeitskomitee Agadir“ entwickelte ein Projekt, dessen Trägerschaft die am 9. Mai 1961 gegründete „Stiftung Cité Suisse d’Agadir“ übernahm. Geplant war die Errichtung von 150 Wohneinheiten, 20 Läden, 25 Garagen und einem Jugendhaus.

Am 30. Juli 1965 wurde die „Cité Suisse“ feierlich eröffnet: Einem Beitrag des deutschschweizerischen Regionalmagazins „Antenne“ zufolge, waren schliesslich das Jugendhaus, sechs Geschäfte und 56 Dreizimmer-Häuser gebaut worden. Die Häuser wurden vermietet; der Erlös kam zur Hauptsache Berufsbildungsprojekten für Jugendliche zu Gute.

Die ausgewählten Dokumente zeigen, wie die kurz- und mittelfristige humanitäre Hilfe in Gang gesetzt wurde. Die Dokumente sind frei zugänglich und können in den Lesesälen des Schweizerischen Bundesarchivs eingesehen werden. Der Beitrag des Regionalmagazins „Antenne“ vom 29. September 1965 kann mittels der Datenbank „Memobase“ des Vereins Memoriav recherchiert und im Lesesaal II visioniert werden.

Dokumente

(1) Schreiben des Schweizerischen Roten Kreuzes an die Abteilung für Internationale Organisationen des Eidgenössischen Politischen Departements betreffend Hilfe für die Erdbebengeschädigten von Agadir, 2. März 1960
in: E 2003 (A), 1971/44, Az. o.222.1, Action d'entraide pour Agadir, Bd. 103.

(2) Bundesratsbeschluss betreffend die Hilfe an die Erdbebenopfer von Agadir, 4. März 1960
in: E 2003 (A), 1971/44, Az. o.222.1, Action d'entraide pour Agadir, Bd. 103.

(3) Vertrauliches Schreiben des schweizerischen Geschäftsträgers in Rabat an die Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten des Politischen Departements, 15. März 1960
in: E 2003 (A), 1971/44, Az. o.222.1, Action d'entraide pour Agadir, Bd. 103.

(4) Telegramm von Mohamed V, König von Marokko, an den Bundespräsidenten Max Petitpierre, 16. März 1960
in: E 2001 (E), 1976/17, Az. B.15.81.4, Beileidsbezeugung anlässlich Erdbeben in Agadir, Bd. 531.

(5) Kurzprotokoll des Arbeitskomitees Agadir, 23. Mai 1960
in: E 2200.275 (B), 1980/125, Az. G.65.40.0.Agadir, Aide suisse aux sinistres d'Agadir, Bd. 5.

(6) „Note explicative" betreffend die Konstruktion von Wohneinheiten in Agadir, 26. Juli 1960
in: E 2200.275 (B), 1980/125, Az. G.65.40.0.Agadir, Aide suisse aux sinistres d'Agadir, Bd. 5.

(7) Modellbilder der geplanten „Cité suisse" in Agadir, ohne Datum
in: E 2200.275 (B), 1980/125, Az. G.65.40.0.Agadir, Aide suisse aux sinistres d'Agadir, Bd. 5.

(8) Konvention zwischen dem Pascha der Stadt Agadir und der Stiftung „Cité suisse d'Agadir", 18. Juli 1962
in: E 2200.275 (B), 1985/111, Az. G.65.40.5.Agadir, Convention avec la municipalité d'Agadir (Terrain), Bd. 8.

Weiterführende Informationen

https://www.bar.admin.ch/content/bar/de/home/service-publikationen/publikationen/geschichte-aktuell/das-erdbeben-von-agadir-vom-29--februar-1960-und-die-cite-suisse.html