Widerruf von Truppenaufgeboten wegen Grippe-Epidemie, Juli – August 1918

Während des Ersten Weltkriegs erfasste die Grippe-Epidemie, der weltweit mehr als 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen, auch die Schweiz. Nachdem im Mai 1918 die ersten leichten Grippefälle aufgetreten waren, verschärfte sich die Situation Anfang Juli: Nicht nur die Zahl der Neuerkrankungen stieg markant an, es kam auch in vielen Fällen zu Komplikationen, so dass die Verantwortlichen von einer eigentlichen „Feuersbrunst bei Föhnsturm“ sprachen.1918 starben in der Schweiz insgesamt 8845 Männer und 12646 Frauen, wobei alleine im August 2270 Todesfälle gezählt wurden.

Besondere Auswirkungen hatte die Grippe-Epidemie auf die mobilisierte Schweizer Armee. So sah sich der Schweizerische Bundesrat im Juli und August mehrmals gezwungen, Truppenaufgebote zu widerrufen, da die Grippefälle in einzelnen Landesteilen stark zugenommen hatten.

General Wille, der von sich aus den Wunsch geäussert hatte, den Schweizer Bundesrat über die „herrschenden Zustände“ zu informieren, wurde in die Sitzung vom 19. Juli 1918 eingeladen, um Bericht zu erstatten: Offenbar hatte man die Gefährlichkeit der „Spanischen Grippe“ zunächst auch in der Schweizer Armee unterschätzt. Erst als ein Marsch vom Wallis in den Jura nicht mehr weitergeführt werden konnte und das Armeekommando verschiedene Aufgebote widerrufen oder verschieben musste, zeigte sich das Ausmass.

Durchschnittlich erkrankten gemäss zeitgenössischen Quellen 50-80% der Armeeangehörigen, wobei die Territorialtruppen stärker betroffen waren als die Feldarmee, jüngere Militärdienstleistende stärker als ältere. Bis Anfang August waren 395 Todesfälle zu verzeichnen, praktisch ausnahmslos verursacht durch Lungenentzündung. Am 17. Juli erreichte die Zahl der Grippeerkrankten mit insgesamt 6954 Betroffenen einen ersten Höchststand in der Armee, was zu starker Verunsicherung in der Bevölkerung führte: Dem Armeearzt Oberst Carl Hauser und der Sanität wurde „mangelhafte Vorbereitung der Bekämpfung der Seuche“ vorgeworfen, sowie gravierende Fehler bei der Ausbildung und Organisation des Sanitätsdienstes.

Vor diesem Hintergrund setzte der Schweizerische Bundesrat am 9. August 1918 eine Untersuchungskommission ein, welche die Vorwürfe abzuklären hatte. Der geheime Schlussbericht vom 24. Januar 1919 räumte in der Folge „manche Irrtümer, Unterlassungen, Nachlässigkeiten und bedauerliche Fehler“ ein und empfahl für die Zukunft u. a. bessere Krankenzimmer, transportable Baracken sowie eine Reform des Militärversicherungs- und Militärpensionswesens.

Dokumente

(1) Schreiben des Gemeinderates Lengnau (Bern) an die Militärdirektion des Kantons Bern, 16. Juli 1918,
in: E 27, Dossier 19715, Beschwerden betreffend den Sanitätsdienst während der Grippe-Epidemie 1918-1919.

(2) Etat-Major de l'Armée, Bureau de la Presse, Mesures prises contre l'épidemie de Grippe, 20 juillet 1918,
in: E 27, Dossier 19714, Grippe-Epidemie 1918-1919.

(3) Schreiben des Rotkreuzchefarztes an Oberst Von der Mühll, 17. August 1918, inkl. Beilage „Ordnung für die Erholungsstation Adelboden",
in: E 27, Dossier 19716, Inspektionen von Grippespitälern und Rekonvaleszentenstationen und des Sanitätsdienstes bei der Truppe während der Grippeepidemie, 1918.

(4) Mitteilung des Armeearztes an Dienst leistende Sanitätsoffiziere,
in: E 27, Dossier 19715, Beschwerden betreffend den Sanitätsdienst während der Grippe-Epidemie 1918-1919.

(5) Schreiben des Chefs des Generalstabs an das Schweizerische Militärdepartement, 30. September 1918,
in: E 27, Dossier 19714, Grippe-Epidemie 1918-1919.

(6) Schreiben des Armeesekretariats der Stadt Chur an die Verwaltung der Carnegiestiftung, 28. August 1919,
in: E 9510.8 1985/201, Dossier 13, Grippe 1918-1919.

(7) General Ulrich Wille zum Bericht der vom Bundesrat und von ihm zur Untersuchung des Armee- und Territorial-Sanitätswesens eingesetzten Kommission, 4. März 1919,
in: E 5560 (D) 1986/47, Dokumentationen, Band 9.

Weiterführende Informationen

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