„Das Buch soll wieder aufrütteln: in einer Zeit, in der die Hochkonjunktur und vieles Andere uns vor dem Wesentlichen ablenkt. […] Beim Durchlesen und Durchdenken des Buches soll jeder erkennen, was uns über alle Gegensätze hinweg verbindet: Gemeinsamkeiten und Verpflichtungen als Schicksalsgemeinschaft, wie zu Zeiten früherer Gefahren. Das Buch soll uns Trost spenden und Kraft geben: im Kampf gegen die Angst, die Anfälligkeit gegen Erpressungen, gegen Trägheit und Einschläferung. Das Buch soll für die zivile Landesverteidigung und den Zivilschutz auch Lehrbuch sein […]. Das Buch will die grosse Verpflichtung unserer Gegenwart zeigen, wachsam und gerüstet das Vermächtnis unserer Geschichte zu verteidigen: die schweizerische Staatsidee eines freiheitlichen, demokratischen, föderalistischen, sozialen und rechtsstaatlichen Kleinstaates."
Mit diesen Worten warb Albert Bachmann im März 1961 gegenüber Bundesrat Ludwig von Moos, Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, für die Herausgabe einer Schrift über die „Zivilverteidigung" der Schweiz. Sein Anliegen stiess auf offene Ohren, wenn auch die Realisierung lange auf sich warten liess: am 18. September 1967 beschloss der Bundesrat definitiv, das „Zivilverteidigungsbuch" („ZVB") an alle Haushalte der Schweiz verteilen zu lassen. Und erst zwei Jahre später begann der Versand.
Die Verzögerung ist ein Indiz dafür, dass man sich nur schwer auf die zu vermittelnden Botschaften einigen konnte. Das Buch hatte amtlichen Charakter, obwohl es im Miles-Verlag erschien, an dem Bachmann, der später umstrittene Chef des Spezialdiensts innerhalb der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr, beteiligt war. In seiner Aufmachung glich es dem 1958 publizierten „Soldatenbuch". Als Verfasser zeichnete nebst Bachmann der Geograf und Historiker Georges Grosjean. Der definitive Text war das Ergebnis mehrerer Überarbeitungen, an denen zwei Kommissionen und verschiedene freie Mitarbeiter und Vertreter der Bundesverwaltung beteiligt waren. Die Gesamtkosten betrugen schließlich 4'779'741 Franken – gut 300'000 Franken mehr als ursprünglich budgetiert.
Das „Zivilverteidigungsbuch" sollte die Bevölkerung auf den Zivilschutz im Kalten Krieg und die für den Kriegsfall geplanten Massnahmen aufmerksam machen. Es thematisierte etwa die Folgen eines Atombombenangriffs oder der Zerstörung von Talsperren. Über solche technischen Vorkehrungen hinaus sollte die „innere Widerstandskraft" der Schweiz gestärkt und „Defätismus" verhindert werden. Dazu diente vor allem das mehrfach umgearbeitete Kapitel „Die zweite Form des Krieges". Es zeichnete das bedrohliche Bild einer politisch „unterwanderten" Schweiz und machte dafür aus dem Ausland gesteuerte Parteien und Untergrundorganisationen verantwortlich. In einem Entwurf war etwa von „naiven Professoren" die Rede, die auf fremde Propaganda und „Kulturköder" hineinfielen.
Das Buch stieß aus verschiedenen Gründen auf Kritik: Bundesrat Hans Schaffner, Vorsteher des Eidg. Volkswirtschaftsdepartments, votierte wiederholt – und vergebens – für eine sachlichere Darstellung. Mehrere Vorstösse im Parlament verlangten Auskunft über Ziel und Finanzierung des Projekts. Schließlich passte das defensiv ausgerichtete Vorhaben auch nur schlecht in die Grundstimmung des politisch-kulturellen Aufbruchs in den sechziger Jahren: Der Schweizerische Schriftsteller-Verein (SSV) etwa protestierte gegen die „Diffamierung der Intellektuellen" in einzelnen Passagen der französischen Übersetzung. Vereinsintern entzündete sich an der Zusammenarbeit des SSV-Präsidenten, Maurice Zermatten, mit Bachmann eine Kontroverse, die im April 1971 schliesslich zur Spaltung des Vereins und zur Gründung der „Gruppe Olten" führte.
Die publizierten Dokumente zeigen, wie das Zivilverteidigungsbuch entstand. Sie sind frei zugänglich und können in den Lesesälen des Bundesarchivs eingesehen werden.
Dokumente
(1) Schreiben von Albert Bachmann an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, 10. März 1961 (inkl. Beilage)
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 61.
(2) Schreiben des Bundespräsidenten an den Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, 20. Juli 1961
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 61.
(3) Beschluss des Bundesrates, 20. Dezember 1963 (Protokollauszug inkl. Antrag und Mitberichte)
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 63.
(4) Schreiben der Conférence des chefs d'Offices cantonaux de protection civile de la Suisse romande et italienne an das Bundesamt für Zivilschutz, 21. Juni 1967
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 64.
(5) Beschluss des Bundesrates, 23. Dezember 1968 (Protokollauszug inkl. Antrag und Mitberichte)
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 63.
(6) Herausgabe des Zivilverteidigungsbuches (ZVB); chronologische Zusammenfassung der wichtigsten Vorgänge, 21. November 1969
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 61.
(7) Schreiben von Albert Bachmann an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, 22. November 1969
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 64.
(8) Beschluss des Bundesrates, 8. Oktober 1970 (inkl. Antrag)
in: E 4001 (D) 1976/136, Az. 09.47, Bd. 65.
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