Die Nation vergrössern

Beflügelt heute die Idee, den "Grossen Kanton" in die Eidgenossenschaft zu integrieren, die cineastische Produktion, so war es nach dem ersten Weltkrieg der reale Versuch, den Vorarlberg der Schweiz einzuverleiben, der Politik und Presse auf den Plan rief.

Schweizer-Bund, Ausgabe vom 20. März 1921, Titelblatt
Zeitung "Schweizer-Bund", in: BAR J2.6, 1000/1248, Bd. 6, 1921.

Nach dem Ersten Weltkrieg bricht die österreichisch-ungarische Monarchie zusammen. Ein vorarlbergisch-schweizerisches Komitee versucht darauf, den Beitritt Vorarlbergs zur Eidgenossenschaft zu realisieren. Zwischen dem heutigen österreichischen Bundesland und der Schweiz bestehen traditionell enge wirtschaftliche Beziehungen. 1919 stimmen 80 Prozent der Vorarlberger dem Anschluss zu. Die Bemühungen fruchten jedoch nichts, weil Bundesbern zurückhaltend bleibt.

Der «Schweizer-Bund» ist das Organ der Beitrittsbewegung. In der ersten Ausgabe trumpft Ferdinand Rothpletz, bürgerlicher Nationalrat und Präsident des Komitees, mit einem Leitartikel auf: Es mute auf den ersten Blick unnatürlich an, dass die Schweiz mit ihren Gegensätzen von Sprache, Rasse und Religion überhaupt existiere. Doch die Natur sei stärker gewesen: «Und diesen verschieden sprechenden, verschieden gläubigen Menschen hat die Einheit der Natur, die Einheit der Lebensbedingungen, die Einheit des Klimas ganz allmählich dieselben Arbeiten und Beschäftigungen aufgeladen, dieselben Bedürfnisse eingeimpft.»

Seltsamerweise geht Rothpletz mit keinem Wort auf die Frage ein, wieso dieses naturpolitische Gebilde um ein neues Gebiet erweitert werden soll; seine Argumentation spricht eher gegen eine vom Menschen vorzunehmende Grenzveränderung. Es ist am vorarlbergischen Redaktor des «Schweizer-Bunds», die Stammesverwandtschaft des «Vorarlberger Völkleins» mit dem «Schweizervolk» zu beschwören, die an Sprache, Sitte und Brauch, Volkslied und Tracht ersichtlich sei. Die Differenzen zur romanischen Schweiz freilich übergeht er. Sie würden seine Argumentation unterlaufen.

Autor: Urs Hafner

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