Das Bankgeheimnis gilt als umstrittenster Mythos der Schweiz. Seine Entstehung wird oft auf das Bankengesetz von 1934 zurückgeführt. De facto verpflichtet das Privatrecht die Bankiers bereits viel früher zur Verschwiegenheit. Was 1934 Eingang in Artikel 47 des Bankengesetzes fand, war lediglich der strafrechtliche Schutz des Bankkundengeheimnisses. Künftig konnten Revisoren und Bankangestellte für die unbefugte Weitergabe von Informationen über ihre Kundinnen und Kunden mit bis zu 6 Monaten Gefängnis oder 20'000 Franken Busse bestraft werden.
Das Berufsgeheimnis der Bankiers war allerdings nur ein Nebenaspekt des Bankengesetzes, das Bestimmungen über die Eigenmittel, Rechnungslegung und Revision der Banken, den Schutz der Spareinlagen sowie die Kontrolle der Geschäftsbanken durch eine Eidg. Bankenkommission vorsah. Nicht zuletzt deshalb hatten sich die Banken lange gegen eine staatliche Regulierung gesträubt. Erst als der Bund im Herbst 1933 der Schweizerischen Volksbank mit 100 Mio. Franken unter die Arme greifen musste, wurde der Weg zu einem Bankengesetz definitiv frei.
Die Quellenlage zur Entstehung der Strafbestimmungen im Bankengesetz ist äusserst dürftig, so dass eine Rekonstruktion Raum für unterschiedliche Interpretationen lässt. Sicher ist, dass Exponenten der Banken, die bürgerliche Presse, aber auch Vertreter des Bundesrats seit 1931 die Bedeutung des Bankkundengeheimnisses für den Finanzplatz Schweiz vermehrt unterstrichen (1). Im Dezember 1931 diskutierte zudem der Ständerat im Zusammenhang mit dem Strafgesetzbuch über einen erweiterten Schutz des Berufsgeheimnisses, der auch Bankbeamte erfasst hätte. Bereits der erste Entwurf der Eidg. Finanzverwaltung für ein Bankengesetz vom 17. Februar 1933 (2) sah dann jedoch eine spezialrechtliche Strafbestimmung für die Verletzung der Schweigepflicht durch Revisoren vor. Die folgenden Entwürfe stellten zusätzlich die Weitergabe von Informationen durch Bankangestellte, aber auch die Anstiftung und die fahrlässige Begehung unter Strafe (3, 4). Kaum diskutiert, passierten diese Bestimmungen die bundesrätliche Expertenkommission (5), die Kommissionen (6) und das Plenum der Räte.
Aufgrund der amtlichen Quellen wird immerhin deutlich, dass das Bankkundengeheimnis im politischen Entscheidungsprozess eine eher nebensächliche Rolle spielte. Ein Grund für die Strafbestimmungen ist zudem im Gesetz selbst angelegt. Die strafrechtliche Absicherung der Verschwiegenheitspflicht war nicht zuletzt eine Kompensation für die verstärkte Kontrolle der Banken durch externe Revisionsstellen und Behörden. Auf diese Weise sollte das Vertrauen der Kundinnen und Kunden bestärkt werden.
Schwieriger zu beurteilen ist dagegen der damals zweifellos vorhandene Druck des Auslands auf die Schweiz zur Kooperation bei Steuerdelikten. So fehlen eindeutige Belege dafür, dass die Affäre um die Verhaftung von zwei Schweizer Bankiers in Paris im Spätherbst 1932 die Diskussion um die Strafbestimmungen des Bankengesetzes unmittelbar beeinflusste. In der Tat hatten die französischen Behörden die Vertreter der Basler Handelsbank nur wenige Wochen vor Entstehung des ersten Entwurfs zum Bankengesetz wegen Verdachts auf Beihilfe zu Steuerhinterziehung verhaftet und in der Folge auf dem Weg der Rechtshilfe Einsicht in die Geschäftsbücher der Bank verlangt, was der Bundesrat jedoch abgelehnt hatte.
Explizit zur Sprache kam bei der Vorbereitung des Bankengesetzes hingegen die wachsende Besorgnis über Fälle von «Bankspionage», die vor dem Hintergrund der 1931 verschärften Devisenbestimmungen Deutschlands zu sehen sind. Bereits 1932 waren Banken und Behörden mit Einzelpersonen konfrontiert, die versuchten durch Bestechung oder Täuschung von Bankangestellten Informationen über Kundenbeziehungen zu erlangen und deutschen Stellen zuzuspielen. Nach 1933, als das NS-Regime Verstösse gegen die Anmeldepflicht für Auslandvermögen massiv kriminalisierte und mit der Konfiskation von «volks- und staatsfeindlichen Vermögen» begann, nahmen solche Fälle weiter zu. Entgegen der landläufigen Behauptung schenkten die Schweizer Behörden jüdischen Vermögen dabei allerdings keine besondere Beachtung. Bereits im Herbst 1933 beschäftigte sich die Bundesanwaltschaft mit dem Entwurf einer Notverordnung gegen Wirtschaftsspionage (8). 1935 erliess dann das Parlament eine Strafnorm gegen «wirtschaftlichen Nachrichtendienst». Zudem warnten die Behörden die Bankiers vor den Umtrieben der «Finanzspione» (9).
Trotz der Weigerung des Bundesrats, etwa im Rahmen von bilateralen Abkommen Rechtshilfe in Fiskalsachen zu leisten, galt Artikel 47 des Bankengesetzes bereits in den 1930er-Jahren keineswegs absolut (10). Richter konnten demnach sowohl in straf- als auch zivilrechtlichen Verfahren eine Offenlegung verlangen (11). 1951 sah das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA schliesslich erstmals eine zwischenstaatliche Informationsklausel vor. Zur Geschichte des Bankgeheimnisses gehört also ebenso die Geschichte seiner Beschränkung durch andere Rechtsnormen. (8.3.2010)
(1) Vorschläge [von A. Jöhr] zur Revision des Obligationenrechts hinsichtlich der Banken-Kontrolle, 24. Januar 1932
in: E 6520 (A) 1000/1059, Az. 04, BG vom 8. 11. 1934 über die Banken und Sparkassen: Stellungnahmen und Eingaben von Privaten 1932-1934, Band 2
(2) Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen [Entwurf Kellenberger] vom 17. Februar 1933
in: E 6520 (A) 1000/1059, Az. 04, BG vom 8. 11. 1934 über die Banken und Sparkassen: Entwürfe 1933/34, Band 3
(3) Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 7. März 1933
in: E 6520 (A) 1000/1059, Az. 04, BG vom 8. 11. 1934 über die Banken und Sparkassen: Entwürfe 1933/34, Band 3
(4) Bundesgesetzentwurf: Strafbestimmungen vom 29. Dezember 1933
in: E 21, Nr. 13389: Bemerkungen zu den Strafbestimmungen im Entwurf des Bankengesetzes 1933
(5) Protokoll der Sitzung der Expertenkonferenz zur Begutachtung des Entwurfes zu einem eidgenössischen Bankengesetze vom 18. Januar 1934 [Auszug]
in: E 6520 (A) 1000/1059, Az. 04, BG vom 8. 11. 1934 über die Banken und Sparkassen: Protokolle der Expertenkonferenz 1933/34, Band 3
(6) Protokolle der Kommission des Ständerates zur Behandlung des Entwurfes zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen, Sitzungen vom 16. Februar und 12. April 1934
in: E 6520 (A) 1000/1059, Az. 04, BG vom 8. 11. 1934 über die Banken und Sparkassen: Kommission des Ständerats 1934, Band 4
(7) Beschluss des Bundesrats vom 30. November 1932
in: E 2001 (D) 1000/1551, Az. B.32.14.F, Basler Handelsbank 1932-1945, Band 64
(8) Entwurf für eine gesetzlichen Bestimmung auf dem Wege einer Notverordnung, ohne Datum [Herbst 1933]
in: E 21, Nr. 13389: Bemerkungen zu den Strafbestimmungen im Entwurf des Bankengesetzes 1933
(9) Kreisschreiben der Bundesanwaltschaft vom 29. Mai 1936
in: E 4320 (B) 1984/29, Az. C.12.11, Deutsche Finanzspionage 1936, Band 43
(10) Schreiben der Eidg. Bankenkommission vom 22. Dezember 1937
in: E 6520 (A)1983/50, Bankgeheimnis (Auskunftspflicht der Banken), 1935-1950, Band 4
(11) Broschüre der Schweizerischen Bankiervereinigung«Le secret des banques» vom 10. Juni 1955
in: E 6520 (A)1983/50, Bankgeheimnis (Auskunftspflicht der Banken), 1951-1974, Band 4
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